Zwei Jugendliche halten sich die Hände.

Coming out – nur mit positivem Selbstbild möglich

Alltägliche Bemerkungen und Verhaltensweisen sind es, die das Coming-Out beeinflussen – ein Prozess, den Eltern mit ihren Kindern tragen.

Die sexuelle Orientierung entscheidet sich bereits in der frühen Kindheit. Wenn sich Mädchen für Fußball oder Buben für Vater-Mutter-Kind interessieren, heißt es noch lange nicht, dass diese Kinder sich gleichgeschlechtlich entwickeln. Leider werden Kinder heute jedoch oft noch immer den traditionellen Rollenbildern von Mann und Frau ausgesetzt. Werden Kinder, die sich gleichgeschlechtlich entwickeln, in Rollen gedrängt, zu denen sie sich nicht zugehörig fühlen, kann das für sie zu Mini-Traumata führen, die ihnen das Leben später erschweren.  „Sich homosexuell entwickelnde Kinder merken bereits sehr früh, dass sie anders sind als die anderen. Das beschäftigt sie sehr stark. Wenn dann auch noch von außen ständig Signale kommen, dass ihr Verhalten falsch ist, entsteht beim Kind das permanente Gefühl, Erwartungen nicht erfüllen zu können. Mehr und mehr entwickeln sie ein Gefühl der Heimatlosigkeit und der Entfremdung von der eigenen Familie, da sie sich in ihrem Fühlen und Verhalten nicht zuordnen können und sich zunehmend als Außenseiter fühlen.“, erzählt Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala. Daraus folgen Rückzug, Verschlossenheit, mangelndes Selbstwertgefühl und Schuldgefühle.

Wenn Eltern bei ihren Kindern so ein Verhalten bemerken, ist es wichtig, miteinander zu reden: Was bewegt dich? Was macht dich traurig? Was macht dich so verschlossen? „Kinder und Jugendliche haben oft Angst, von ihren Eltern abgelehnt oder verstoßen zu werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Eltern ihren Kindern sagen, dass sie immer zu ihnen stehen werden und sie ihr Sohn beziehungsweise ihre Tochter bleiben.“, rät Mag. Wahala.

Das eigentliche Coming-Out betrifft Eltern und Kind gleichermaßen. Eltern fragen sich dann oft: Was haben wir falsch gemacht? Vorwürfe wie: „Du warst nicht streng genug!“ oder „Du hast ihn verweichlicht!“, sind leider keine Seltenheit. Das Gespräch miteinander soll helfen herauszufinden, wie man damit umgeht. „Die Eltern sollten dem/der Jugendlichen Rückhalt geben. Das Wesentlichste ist, dass die Eltern zu ihrem Kind stehen.“ Wichtig ist auch, dass sich die Eltern Verbündete in der Familie und im Freundeskreis suchen, damit sie über ihre Unsicherheiten, Ängste und Gefühle reden können. „Das Schlimmste ist, wenn das Thema verheimlicht wird!“, sagt Mag. Wahala. Nicht selten sagen Eltern zu ihren gleichgeschlechtlich empfindenden Söhnen oder Töchtern: „Es ist okay, dass du so bist! Aber bitte sage das niemanden in der Familie oder in der Schule! Das macht dir nur Probleme.“ Für das Kind wieder eine Doppelbotschaft: Es ist okay und zugleich nicht okay.

Natürlich kommt es bei einem Outing nicht selten zu Konflikten im eigenen Freundeskreis. Gerade Männer fürchten meist, dass der beste Freund jetzt plötzlich mehr möchte, als nur Freundschaft. „Dieses Phänomen gibt es aber in allen sexuellen Orientierungen. Liebe wird nun mal nicht immer erwidert. Jeder Mensch hat das Recht, seine Gefühle zu zeigen. Das Gegenüber muss dann ehrlich sagen, ob es diese Gefühle erwidern kann oder nicht.“, stellt Mag. Wahala fest. Bei Problemen in der Schule rät er, sich an die Beratungslehrer/innen zu wenden. Sie gibt es an jeder Schule und sind sexualpädagogisch oft besser geschult.

Je besser das Selbstwertgefühl, umso mehr kann ein Mensch zu sich und seinen Gefühlen stehen. Gerade im Kindes- und Jugendlichenalter ist es daher von enormer Wichtigkeit, Kindern und Jugendlichen Unterstützung, Rückhalt und Akzeptanz zu signalisieren und sie in ihrem je spezifischen Verhalten verstehen zu lernen. Dazu gehört die Haltung von Eltern und Bezugspersonen, dass sowohl die homo- als auch die heterosexuelle Orientierung richtig und gut sind. Denn es sind unterschiedliche Entwicklungsvarianten und Ausdrucksformen der einen menschlichen Sexualität.

Unser Interviewpartner

Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala ist Psychotherapeut, Sexualtherapeut und Leiter der Beratungsstelle Courage.

Verein "COURAGE - Österreichisches Institut für Beziehungs- und Sexualforschung“
Windmühlgasse 15/Stiege 1/7
1060 Wien
Webseite der Familienberatungsstelle Courage

Das Interview wurde im April 2009 geführt und im April 2022 überarbeitet.

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